Paris, Frankreich
Olympische Leistung
In der Disziplin «Fahrtreppen & Aufzüge» würde Schindler eine Goldmedaille gewinnen. Für den Grand Paris Express liefert das Unternehmen 430 Anlagen. Die erste der neuen Metrolinien soll rechtzeitig zu den Spielen eingeweiht werden.
«Das hier ist der Place Schindler», sagt Schindler-Projektmanager Edouard Rayer strahlend. Er steht im Metroschacht in 30 Metern Tiefe auf einer betonierten Plattform, von der acht Fahrtreppen auf eine höhere und acht auf eine tiefere Ebene abgehen. Schindler-Technikerinnen und -Techniker montieren, diskutieren und geben den letzten Feinschliff. Sie haben der Plattform den Spitznamen verliehen. Für die in Zukunft so wichtige neue Metrostation Villejuif – Gustave Roussy des Grand Paris Express, wo sich die Linien 14 und 15 kreuzen werden, liefert Schindler 32 Fahrtreppen.
Philippe Boué, Länderchef von Schindler Frankreich, erzählt im Sitzungszimmer am Hauptsitz im Pariser Vorort Vélizy-Villacoublay: «Die lange Bauzeit dieses Jahrhundertprojekts ist eine Herausforderung an sich. Wir haben für dieses komplexe Unterfangen eine eigene Abteilung aufgebaut. Zuallererst mussten wir uns überlegen, wie wir alle Fahrtreppen in dieses Loch bringen wollten.»
Die Anlieferung der ersten 20 Fahrtreppen für die Metrostation Villejuif – Gustave Roussy im Mai 2022 wurde zum Spektakel unter freiem Himmel. Sie schwebten von einem gewaltigen Kran an Gurten getragen über dem 50 Meter tiefen Schacht der zukünftigen Metrostation in ein Loch von nur 30 Metern Durchmesser. Darunter Anlagen mit einem Gewicht von 30 Tonnen und 40 Metern Länge. Auf neun Etagen verteilt, montierten Schindler-Techniker diese während zweier Wochen. Im April 2023 wurden zwölf weitere Fahrtreppen installiert. Mehr Zeit blieb nicht, weil der Schacht ein überspannendes Plexiglasdach erhielt und der Weg in die Tiefe somit versperrt war.
Der Architekt Dominique Perrault nennt die von ihm entworfene Station Villejuif – Gustave Roussy «Sonnenuhr». Das transparente Dach lässt das Sonnenlicht bis tief in den Schacht hinunter. Perrault möchte so die Illusion einer unendlichen Tiefe schaffen.
Für Schindler Frankreich ist der Auftrag für den Grand Paris Express ein Höhenflug. 430 Anlagen hat die Société du Grand Paris für ihre 68 Metrostationen bestellt, in denen nach der Eröffnung täglich drei Millionen Passagiere von und zu den Metrozügen transportiert werden müssen. 240 Fahrtreppen des Typs Schindler 9300 und 190 Aufzüge des Typs Schindler 5500, alle ausgestattet mit massgeschneiderten Komponenten. Zur Konfiguration der Aufzüge gehören Anti-Vandalismus-Kabinen, die starker Beanspruchung standhalten.
Schindler-Konstruktionschef Philippe Pellegrin sagt im Auto auf dem Weg zu einer Besprechung mit der Kundin: «Ich bin sehr stolz, aber auf uns lastet auch eine grosse Verantwortung, denn dieses Projekt verändert die Verkehrssituation im Grossraum Paris grundlegend. Unsere Aufzüge und Fahrtreppen sind Teil umweltfreundlicherer Transportlösungen für Millionen von Menschen. Wir ermöglichen so den Umstieg vom Auto auf die Metro.»
Denn Paris hat ein Problem: Alle Wege führen durch das nur 105 Quadratkilometer grosse Zentrum. Wollen die zwölf Millionen Bewohner der 12 000 Quadratkilometer grossen Île de France von Ost nach West oder von Nord nach Süd, setzen sie sich ins Auto, weil ihnen der öffentliche Verkehr bisher keine Alternative bietet. Sechs Millionen machen das pro Tag.
Deshalb beschloss die Regierung, das Metronetz auf 400 Kilometer zu verdoppeln und das Projekt Grand Paris Express zu nennen. Bis 2031 soll das Verkehrschaos besiegt, Paris und seine Vororte zusammengerückt und die Fahrzeiten zu Bildungs-, Sport- und Kultureinrichtungen für alle Pariserinnen und Pariser verkürzt sein. Ringförmige Metrolinien werden die Quartiere um die Innenstadt miteinander vernetzen und die Verbindung zu den Flughäfen schaffen. Dazu lässt die 2010 gegründete Société du Grand Paris vier neue, vollautomatische Metrolinien mit den Nummern 15, 16, 17 und 18 bauen. Sie verlängert die Linien 11 und 14 und errichtet sieben Depots. 90 Prozent der Metro verläuft im Untergrund in 30 bis 50 Metern Tiefe. Es gibt kein grösseres Metroprojekt in Europa. Die Linie 14 wird rechtzeitig zu den Olympischen Spielen im Sommer 2024 betriebsbereit sein. Alle anderen Elemente des Jahrhundertprojektes, das 36 Milliarden Euro kostet, bis 2031.
Projektmanager Edouard Rayer gibt ein Beispiel, wie er persönlich vom Grand Paris Express profitieren wird: «Ich wohne mit meiner Familie direkt neben der Station Issy-les-Moulineaux. Einer meiner besten Freunde lebt in Noisy-le-Grand. Ist der Grand Paris Express fertig, werde ich in 15 Minuten bei ihm sein. Momentan brauche ich dafür eineinhalb Stunden mit dem Auto. Meine Frau wird nur noch mit der Metro zur Arbeit pendeln.» In aller Sicherheit, mit allem Komfort. Dazu gehört auch die Cybersicherheit der Fahrtreppen und Aufzüge. Die Société du Grand Paris bestand auf einer strikten Firewall, damit kein Hacker die Kontrolle der Anlagen übernehmen kann. Das wäre in einer grossen Metrostation fatal. Schindler fand auch für diese Herausforderung die richtige Lösung.
Häufig sind dabei Frauen im Lead, wie etwa Konstruktionsmanagerin Alessandra Pirri, die auf gemischte Teams schwört. Sie sagt: «Unser motiviertes und gut ausgebildetes Team setzt alles daran, das Projekt pünktlich fertigzustellen. Ich bin dabei Dreh- und Angelpunkt für sie und unsere Kundin. Das ist unser Erfolgsrezept.»
Bauleiterin Virginie Da Silva arbeitet am Projekt Villejuif – Gustave Roussy des Grand Paris Express mit. Einst Lohnbuchhalterin, wechselte sie zunächst in eine Assistentenrolle für einen Bauleiter, absolvierte danach die Schindler Academy und ist nun Führungskraft an der Front.
Wie hat Schindler den Zuschlag für diesen Grossauftrag bekommen? «Schindler verfügt über langjährige und breite Erfahrung bei öffentlichen Verkehrsprojekten, wie etwa die Installation von über 300 Aufzügen für die französische Staatsbahn SNCF oder langfristige Wartungsverträge mit der SNCF und mit dem Pariser Transportunternehmen RATP, so Philippe Boué. «Wir punkten mit unserer Kundenorientierung, technischer Expertise und flexiblem Projektmanagement, damit werden wir auch den engen Zeitplan bis zu den Olympischen Spielen fristgerecht umsetzen.»